Gastbeitrag Zeit Online: Urheberrecht in der EU

Wie sollen wir uns so vertragen?

Die EU will das Urheberrecht europaweit harmonisieren. Die Bundesregierung aber schafft für Deutschland stattdessen einen Sonderweg. Der schadet vor allem den Künstlern.

Auf der parlamentarischen Zielgeraden eines Gesetzgebungsprozesses wird es immer spannend. In Diskussionen rund um das Urheberrecht sowieso, und dieses Mal ganz besonders, weil es sich bei dem aktuellen öffentlichen Streit über die Umsetzung der EU-Richtlinie „2019/790 über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt“ in deutsches Recht um den Schlusspunkt einer Grundsatzdebatte handelt, die seit rund einem Jahrzehnt andauert. In den kommenden Sitzungswochen soll das Gesetz nun vom Bundestag beschlossen werden.


Es geht um einen zentralen Bereich für die Kultur- und Kreativwirtschaft, nämlich die Neukalibrierung der Verantwortung von Plattformen wie YouTube für urheberrechtlich geschützte Inhalte; es geht um Klarheit für ganz verschiedene Beteiligte, nicht nur die Plattformen selbst, sondern auch für europäische Start-ups, Nutzer:innen, Künstler:innen, Schöpfer:innen von Inhalten, aber eben auch die Firmen, die über entsprechende Schutzrechte verfügen; es geht gerade nicht bloß darum, eine lange währende Diskussion zu beenden. Sondern für alle Betroffene eine ausgewogene Lösung zu finden.

Der auf EU-Ebene hart erkämpfte Kompromiss wurde vor ungefähr einem Jahr in Deutschland vom Bundesjustizministerium an vielen Stellen wieder aufgeschnürt. Begleitet wurde das von zahlreichen Stellungnahmen, von Forderungen und Kritik, zuletzt geäußert von rund 1.200 Bands und Musiker:innen. Letztere haben sich zu Wort gemeldet, weil ein erster offener Brief vom vergangenen November von der Politik bis heute weitestgehend unbeantwortet geblieben ist – und weil Peter Maffay mit einem sehr persönlichen Beitrag in der Süddeutschen Zeitung am 31. März 2021 eine noch deutlich breitere Welle der Solidarisierung bei den Musiker:innen ausgelöst hat.

Die geschürte Panik

Gemeinsam mit Maffay haben Balbina, Sarah Lesch und Rocko Schamoni im Zusammenhang mit diesem zweiten Brief in einem ausführlichen Interview in der SZ zuletzt ihre Positionen dargestellt. Infamerweise wird dieser Brief nun auf die „Unterwanderung“ dieser Künstler:innen durch den Vorstandsvorsitzenden des Verbandes unabhängiger Musikunternehmer:innen (VUT), Mark Chung, zurückgeführt, weil der sein Adressbuch für die Aktion geöffnet hat. Diese Unterwanderungsunterstellung kommt ausgerechnet von einem Vertreter der Plattform Wikipedia. Diese aber ist ausdrücklich von den Regelungen der Richtlinie ausgenommen. Die für die öffentliche Meinungsbildung sehr wichtige Seite wurde in Deutschland nach einer Entscheidung durch ein kleines Autoren-Gremium mit nur 139 Pro-Stimmen rund um die Urheberrechtsdebatte aus Protest einen Tag lang „schwarz“ geschaltet – um auch noch die Letzten mit der seinerzeit geschürten „Artikel-13-macht-das-Internet-kaputt“-Panik zu erreichen.

Als wäre in den vergangenen Jahren noch nicht jedes Register gezogen worden, versucht man nun also, die Initiative der Künstler:innen zu diskreditieren und den Unterzeichner:innen dabei auch gleich noch en passant die Kompetenz abzusprechen, sich inhaltlich zu diesem Thema äußern zu können. For the record: Die verschiedensten Vertreter:innen der Musikwirtschaft unterstützen diese Initiative. Das heißt mitnichten, dass sich in der Branche alle immer in allem einig sind. Es zeigt aber, dass man aus Sorge vor tiefgreifenden Beschädigungen der Vertragsarchitektur im digitalen Markt aus ganz verschiedenen Blickwinkeln zu dem Ergebnis kommt, dass der Gesetzentwurf für Deutschland an wesentlichen Stellen falsch ist und negative Auswirkungen haben wird. Aber das wollen einige offenbar nicht wahrhaben.

Nein, es gibt im Urheberrecht keine einfachen Lösungen. Das liegt ausnahmsweise einmal nicht an der Komplexität der digitalen Welt. Sondern vor allem daran, dass die Heterogenität der verschiedenen durch das Urheberrechtsgesetz Geschützten sehr groß ist; und daran, dass die Frage, wer welche Rechte für wen wahrnimmt (verbunden mit der Frage, wer für wen spricht in der zum Teil schrillen Debatte), oft nicht leicht nachzuvollziehen ist.

Von den unterschiedlichsten Beteiligten wird der sich abzeichnende deutsche Sonderweg kritisiert, weil er einen wichtigen und langersehnten Kompromiss aufweicht, der mühsam und über Jahre im Rahmen eines demokratischen Prozesses auf europäischer Ebene ausgehandelt wurde. Der europäische digitale Binnenmarkt würde durch diesen deutschen Alleingang noch fragmentierter. In Frankreich oder den Niederlanden soll die EU-Richtlinie weitestgehend wortlautgetreu zur Geltung kommen. Es würden dort folglich andere Regelungen gelten als in Deutschland – genau das Gegenteil wollte die Richtlinie eigentlich bewirken, es ging gerade um Harmonisierung der Gesetzgebungen in den EU-Mitgliedsstaaten.

Dabei wollen sich die verschiedenen Adressaten dieses Gesetzes in Deutschland doch eigentlich endlich (wieder) vertragen. Im Sinne von „Verträge schließen“, auf Augenhöhe. Bei der Umsetzung der EU-Richtlinie in deutsches Recht zeigt sich nun beispielhaft und schmerzhaft, wie es wirklich um die regulatorische Kompromissfähigkeit auf EU-Ebene steht. Es ist offenbar weiterhin national opportun, den europäischen Kompromiss im eigenen Land über Bord zu werfen, um potenziellen Wähler:innen zu Hause zu gefallen. Das beschädigt auch für viele bevorstehende, strittige und dringend zu regulierende Bereiche die Richtlinie als Instrument, als Format.

Wo nun liegt das Problem unserer Branche? Julia Reda, die in ihrer Zeit als Europaabgeordnete der Piraten in der Fraktion der Grünen/EFA die Urheberrechtsdebatte wesentlich mitbestimmt hat, scheint zu meinen, wir sähen Gespenster. Tatsächlich beschneidet der jetzige Gesetzentwurf die Rechtewahrnehmung, und diese Beschneidung ist als eine Art Zwangsbeglückung aller getarnt.

Zur Erinnerung:

Die Musikindustrie ist inzwischen eine zum überwiegenden Teil digitale Branche. Sie wurde als Erste durch technologische Entwicklungen in ihrem ursprünglichen Geschäftsmodell des Verkaufs von physischen Tonträgern herausgefordert. Die Branche war angesichts einer 15 Jahre währenden Talfahrt als eine der ersten gezwungen, sich den neuen Anforderungen einer digitalen Wirtschaft unternehmerisch zu stellen. Seit einigen Jahren geht es generell wieder bergauf, weil mit dem bezahlten Audiostreaming ein Geschäftsmodell gefunden wurde, das das Musikgeschäft und die digitale Welt miteinander verbindet.

Inzwischen haben Musikfirmen weltweit etwa 60 Millionen Songs für die Nutzung im digitalen Raum lizenziert. Sie ermöglichen nahezu jede Nutzung auf fast jeder Plattform: Das geht längst über das Musikhören hinaus und schließt die Nutzung von Musik im Rahmen des Hochladens ein. Gleichzeitig haben die Labels ihre Rolle als Partner der Künstler:innen an die sich ständig verändernden Erfordernisse der digitalen Welt angepasst. Die Entwicklung der Branche zeigt, dass diese inhaltlich-strategische Neuaufstellung aufgehen kann. Der Anteil des Digitalgeschäfts am Gesamtumsatz der Musikbranche in Deutschland, dem viertgrößten Musikmarkt der Welt, ist 2020 erstmals auf über 70 Prozent geklettert. Gerade derzeit erweist sich das digitale Standbein als Lebensversicherung, denn die Musikindustrie ist bisher vergleichsweise gut durch die Pandemie gekommen.

Und die Entwicklung des digitalen Raums setzt sich in immer höherem Tempo fort. Neue Nutzungswelten wie TikTok, die auf der Basis von kürzesten Musikausschnitten neue Zielgruppen erschließen, sind längst lizenziert. Die vielbeschworenen Sperrungen von musikalischen Inhalten sind die absolute Ausnahme. Die aber werden von Gegner:innen unserer Position beharrlich immer wieder als Angstszenario beschrieben.

Es scheint vor allem diese Drohfigur zu sein, der der deutsche Gesetzgeber nun aus dem Weg gehen will. Denn um nun die behauptete Gefährdung der Kunst- und Meinungsfreiheit der Nutzer:innen auszuschließen, will man in Deutschland – und nur für Deutschland – ein Regime kreieren, in dem die Rechteinhaber:innen (Musikunternehmen und Künstler:innen) in einem hoch ausdifferenzierten digitalen Markt in Zukunft mit folgender Situation konfrontiert sein werden: Sie verlieren in dem Anwendungsbereich faktisch die Kontrolle über wesentliche Teile der Inhalte.

Quelle: Zeit Online, Gastbeitrag von Florian Drücke, 12. Mai 2021
https://www.zeit.de/kultur/2021-05/urheberrecht-musikindustrie-eu-kritik-florian-druecke